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Haftungsfallen im digitalisierten Vergabeverfahren
Die Digitalisierung hat zweifellos viele Bereiche unseres Lebens und unserer Arbeitswelt revolutioniert, darunter auch die Vorbereitung von Ausschreibungen, die Erstellung von Leistungsverzeichnissen und die Beantragung bauordnungsrechtlicher Genehmigungen. Dies betrifft sowohl den privaten Bereich, als auch das öffentliche Vergabeverfahren im Bauwesen. Architekten und Ingenieure stehen vor neuen Herausforderungen und Risiken, die sich aus dieser Entwicklung ergeben und potenziell zu einer erweiterten Haftung führen können. Gleichzeitig bietet die Digitalisierung jedoch auch große Chancen für die Effizienzsteigerung, die Kostensenkung und die Qualitätsverbesserung in Planungs- und Bauprozessen. Vor diesem Hintergrund stellen sich Fragen hinsichtlich der Haftung von Architekten und Ingenieuren im digitalisierten Vergabeverfahren. Im Folgenden sollen Chancen und Risiken der fortschreitenden Digitalisierung des Vergabeverfahrens für diese Berufsgruppen beleuchtet werden.
Die Vergabegrundsätze des § 97 GWB gelten nur für die sog. Öffentlichen Vergabeverfahren. Diese Verfahren werden von öffentlichen Einrichtungen oder Regierungsbehörden durchgeführt, um Aufträge für öffentliche Bauprojekte zu vergeben. Daneben unterliegen auch Sektorenauftraggeber nach § 100 GWB und Konzessionsgeber nach § 101 GWB den strengen Anforderungen des öffentlichen Vergabeverfahrens. Private Auftraggeber dagegen sind an die Vergabegrundsätze grundsätzlich nicht gebunden und unterliegen weniger strengen rechtlichen Anforderungen, was eine flexiblere Gestaltung erlaubt. Sie können daher eigene Auswahlkriterien und Verfahren für die Vergabe von Bauaufträgen festlegen.
Neben der elektronischen Kommunikation im Rahmen des Vergabeverfahrens führt das Voranschreiten der Künstlichen Intelligenz (KI) zu weiteren Änderungen innerhalb des Vergabeverfahrens. KI kann Daten analysieren, Trends identifizieren, vorausschauende Analysen durchführen und die Bewertung von Angeboten automatisieren. Zudem unterstützt sie die Vertragsverwaltung, verbessert Entscheidungsprozesse und hilft bei der Risikominderung. Insgesamt trägt die Anwendung von KI dazu bei, das Vergabeverfahren effizienter, transparenter und risikoärmer zu gestalten.
Die Pflichten eines Architekten bzw. eines Ingenieurs bei der Vorbereitung und Mitwirkung der Vergabe nach den Leistungsphasen 6 und 7 der HOAI umfassen eine Reihe von Aufgaben, um sicherzustellen, dass Bauprojekte effizient und gemäß den vereinbarten Standards ausgeführt werden. Typische Pflichten des Architekten bzw. Ingenieurs sind die Vorbereitung der Ausschreibungsunterlagen, die Bewertung von Angeboten, die Auswahl von Auftragnehmern, die Führung der Vertragsverhandlungen und die Dokumentation des Vergabeprozesses. Diese Aufgaben können je nach spezifischen Anforderungen des Bauprojekts variieren und in Zusammenarbeit mit anderen Fachleuten wie Projektmanagern und Rechtsanwälten durchgeführt werden. Für einige Aufgaben des Architekten bzw. des Ingenieurs können unterstützend neue Technologien herangezogen werden.
Zieht der Architekt bzw. Ingenieur neue Technologien zur Erfüllung seiner Pflichten heran, kann dies zu einer enormen Steigerung der Effizienz führen. Dennoch bergen solche Technologien auch erhebliche Haftungsrisiken, die der Planer zum Teil durch eine sorgfältige Überprüfung der Ergebnisse reduzieren kann. Im Folgenden werden einzelne Haftungsfallen beleuchtet, die es für den Architekten bzw. den Ingenieur zu vermeiden gilt:
1. Risiken im Zusammenhang mit Building Information Modeling (BIM)
Als Beispiel für eine fortschrittliche Methode zur Planung, Ausführung und Verwaltung von Bauprojekten lässt sich das sog. „Building Information Modeling“ (BIM) anführen. Im Wesentlichen handelt es sich um einen digitalen Ansatz, bei dem ein umfassendes 3D-Modell erstellt wird, das alle relevanten Informationen und Daten über das Gebäude enthält. Dieses Modell wird während des gesamten Lebenszyklus des Gebäudes genutzt, angefangen bei der Planung und Konstruktion bis hin zum Betrieb und zur Instandhaltung. Die Aufgaben eines Architekten bei der Planung unter Verwendung von Building Information Modeling (BIM) umfassen die Modellierung des BIM-Modells einschließlich geometrischer Daten und Informationen zu Materialien, Bauteilen, Kosten, Zeitplänen und anderen relevanten Parametern, die Kollaboration mit weiteren Projektbeteiligten, die Koordination verschiedener Leistungssegmente, die Simulation und Analyse des Gebäudeverhaltens, die Visualisierung, die Dokumentation und die Überwachung der Qualität und Genauigkeit des Modells. Durch die Verwendung von BIM kann der Architekt die Effizienz, Genauigkeit und Zusammenarbeit bei Bauprojekten verbessern.
Die Einführung von Building Information Modeling (BIM) bringt allerdings neue Haftungsrisiken für Architekten mit sich, die sorgfältig beachtet werden müssen. Einige dieser Risiken umfassen Fehler im Modell, Informationslücken oder Inkonsistenzen zwischen den Modellkomponenten, Datenschutz- und Datensicherheitsrisiken, Haftung für Modelländerungen, vertragsrechtliche Risiken und die Notwendigkeit spezifischer technischer Kompetenzen. Der Architekt trägt die Verantwortung, diese Risiken zu minimieren, indem er sich kontinuierlich über die aktuellen Entwicklungen im Bereich BIM informiert, angemessene Schulungen absolviert und eng mit Rechtsberatern zusammenarbeitet, um potenzielle Haftungsfragen zu adressieren.
Automatisierte Prozesse sind zwar eine Arbeitserleichterung, müssen aber überprüft werden. Schnell kann sich im integrierten Modell ein Fehler einschleichen, den das System nicht als solchen erkennt oder erkennen kann – etwa weil technisch unterschiedliche Lösungen möglich sind. Der Abgleich mit der geschuldeten Leistung obliegt aber immer dem Auftragnehmer, der für eine mangelfreie Erstellung der Werkleistung, zum Beispiel des Architektenwerks, einzustehen hat. Diese Verfahren ersetzen nicht die geschuldete Leistung oder definieren gar die zu erbringende Leistung, die Verantwortung bleibt sicher immer beim Auftragnehmer.
Besonders relevant könnten die Haftungsrisiken im Zusammenhang mit der Integrierten Projektabwicklung (IPA) und den damit einhergehenden Mehrparteienverträgen (IPA-Vertrag) sein. Die IPA ist ein Ansatz, bei dem alle Projektbeteiligten von Anfang an zusammenarbeiten, um gemeinsame Ziele zu erreichen. Dies umfasst Planer, Architekten, Ingenieure, Bauunternehmen und Auftraggeber, die eng koordiniert und integriert arbeiten, um Effizienz zu steigern und Kosten zu senken. Ziel ist es, durch frühzeitige Zusammenarbeit und eine ganzheitliche Planung die Qualität von Bauprojekten zu verbessern und gleichzeitig Risiken zu minimieren. Hierzu schließen die Beteiligten einen gemeinsamen IPA-Vertrag, der die Grundlage für die Umsetzung des Bauprojekts bildet. Dieser Vertrag legt die Rahmenbedingungen und Vereinbarungen fest, unter denen die verschiedenen Projektbeteiligten zusammenarbeiten, um gemeinsame Ziele zu erreichen. Im Gegensatz zu traditionellen Verträgen, bei denen die Verantwortung oft fragmentiert ist, sieht ein integrierter Projektabwicklungsvertrag eine enge Zusammenarbeit und Koordination zwischen Auftraggeber, Planern, Architekten, Ingenieuren und Bauunternehmen vor. Um eine Abgrenzung der einzelnen Leistungen der Beteiligten zu gewährleisten, müssen die konkreten Schnittstellen definiert werden. Gelingt dies nicht, kann es häufig zu einer Haftung des Architekten bzw. des Ingenieurs kommen, dies entweder direkt aus der übernommenen Leistungsverpflichtung oder über eine gesamtschuldnerische Haftung im Verbund mit den übrigen Beteiligten.
Die genaue Kenntnis der Schnittstellen ist daher erste Pflicht, um die eigene Haftung überhaupt überblicken zu können. Auch wird sich das tradierte Verständnis der vermeintlich engen Zuständigkeiten ausweiten – das klassische „da ist der Planer“ für zuständig wird in diesem Zusammenhang deutlich ausgeweitet. Selbst wenn keine originäre, fachtechnische Zuständigkeit zunächst angenommen werden kann, dürfte eine juristische Verantwortlichkeit sicherlich deutlich weiter reichen.
Sicherlich ist es in diesem Zusammenhang angezeigt, auch den Umfang der Berufshaftpflicht und der Vermögensschadenshaftplicht des jeweiligen Berufsträgers an diesen neuen Herausforderungen anzupassen, die klassischen Tätigkeitsfelder werden in diesen Bereichen zumindest im juristischen Haftungskontext deutlich erweitert und sollten natürlich gleichwohl versichert sein und dies auch bleiben.
2. Digitaler Bauantrag
Bauanträge durchlaufen ebenfalls einen digitalen Wandel und können immer häufiger elektronisch eingereicht und bearbeitet werden. Dies bietet zahlreiche Vorteile, darunter eine beschleunigte Bearbeitung, erhöhte Transparenz, Kosteneinsparungen durch reduzierten Papierverbrauch, Umweltfreundlichkeit und eine verbesserte Kommunikation zwischen Antragstellern und Behörden. Insgesamt optimiert die Digitalisierung des Bauantrags den Genehmigungsprozess und fördert die Digitalisierung im Bauwesen. Der digitale Bauantrag und das Vergabeverfahren sind zwar zwei separate, aber eng miteinander verbundene Prozesse im Baubereich.
Sofern der Architekt mit der Genehmigungsplanung einschließlich der Einholung der Baugenehmigung beauftragt ist, ist der Architekt verantwortlich für die Vorbereitung der erforderlichen Unterlagen sowie deren ordnungsgemäße Einreichung. Reicht der Architekt die Unterlagen fehlerhaft oder unvollständig ein, kann es zu einer Haftung kommen. Eine Haftung kommt auch dann in Betracht, wenn der Architekt für die Implementierung des digitalen Bauantrags verantwortlich ist und Fehler oder Mängel im elektronischen Prozess auftreten. Darüber hinaus muss der Architekt sicherstellen, dass der digitale Bauantrag den geltenden gesetzlichen Anforderungen entspricht.
Die Vorhaltung einer ordnungsgemäßen, digitalen Infrastruktur ist auf der einen Seite eine Selbstverständlichkeit, auf der anderen Seite aber auch Grundvoraussetzung um de lege artis überhaupt tätig werden zu können. Zum Haftungskreis gehört daher auch, nicht nur die Einreichung sicher zu stellen, vielmehr muss die elektronische Übermittlung überprüft und dokumentiert werden. Nur so können Fristenläufe nachvollzogen werden und etwaige weitere Schritte koordiniert werden. Eine entsprechende Organisation im Büroablauf ist zwingende Voraussetzung, um diese erweiterten Haftungsbilder handhabbar zu machen.
So stellt sich die Frage, wie die Einreichung im Büro koordiniert werden kann, wenn doch ein Datenabgleich mit den bei der jeweiligen Kammer hinterlegten Daten den eigentlichen „Architektenstempel“ ersetzen soll? Wie werden die entsprechenden Prüfberechtigungen oder Vorlageberechtigungen nachgewiesen und kann der Akt der Einreichung an Mitarbeiter delegiert werden? Egal wie sich letztlich die Handhabung in der Praxis durchsetzen wird, es bleibt sicherlich dabei, dass einzig der Berufsträger für sämtliches Handeln seines „Büros“ verantwortlich bleiben wird.
3. E-Rechnungen
Eine elektronische Rechnung, kurz E-Rechnung, ist eine Rechnung, die in einem strukturierten elektronischen Format ausgestellt, übermittelt und empfangen wird und eine elektronische Verarbeitung ermöglicht. Für den Bereich B2B (Business to Business), also vertragliche Beziehungen zwischen zwei Unternehmen, kommt zum 01.01.2025 eine Pflicht zur E-Rechnung, wobei bis 2028 eine Übergangsregelung gilt. Im Bereich B2G (Business to Government) dagegen, also vertragliche Beziehungen zwischen Unternehmen und dem Staat, besteht eine Pflicht zur Erstellung von E-Rechnungen bereits seit dem 27.11.2020.
Dies bedeutet zum einen, dass der Architekt bzw. der Ingenieur seine eigenen Leistungen gegenüber einem öffentlichen Auftraggeber mit entsprechenden E-Rechnungen abrechnen muss. Darüber hinaus kann der Architekt bzw. der Ingenieur mit der Prüfung von Schlussrechnungen beauftragt werden. Sofern dem Architekten Fehler bei der Prüfung unterlaufen und diese zu einem finanziellen Schaden des Auftraggebers kommt, kommt eine Haftung des Architekten in Betracht. Des Weiteren kann einem Architekten eine Haftung drohen, wenn fehlerhafte oder unvollständige Rechnungen ausgestellt werden, rechtliche Anforderungen nicht eingehalten werden, Sicherheitsrisiken nicht angemessen adressiert werden.
Zusammenfassend ist es in Anbetracht der zunehmenden Digitalisierung im öffentlichen Vergabeverfahren im Bauwesen unerlässlich, dass Architekten und Ingenieure sich über die aufgezeigten Haftungsfallen im Klaren sind, die mit dieser Entwicklung einhergehen. Die Nutzung digitaler Technologien bietet zweifellos viele Vorteile, darunter Effizienzsteigerung, Kostensenkung und Qualitätsverbesserung. Dennoch ist es von entscheidender Bedeutung, dass Architekten und Ingenieure der Bauindustrie die rechtlichen und technischen Herausforderungen verstehen und entsprechende Maßnahmen ergreifen, um Risiken zu minimieren und die Chancen der Digitalisierung optimal zu nutzen. Durch eine proaktive Herangehensweise, kontinuierliche Weiterbildung und enge Zusammenarbeit mit Rechtsberatern können Architekten und Ingenieure sicherstellen, dass sie den Anforderungen des digitalen Zeitalters gerecht werden und ihre Verantwortung in Bezug auf Haftungsfragen im Vergabeverfahren professionell erfüllen. Letztendlich wird eine sorgfältige Auseinandersetzung mit diesen Themen dazu beitragen, dass die Digitalisierung im Bauwesen einen positiven und nachhaltigen Einfluss auf die Branche hat.
Autor:
Simon Parviz
Rechtsanwalt und Notar, Partner Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht
Baker Tilly Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
simon.parviz@bakertilly.de